Junge Liebesschule
Die (junge) Liebesschule wurde von erfahrenen Bewohnern der Gemeinschaft ZEGG (Zentrum für experimentelle Gemeinschaftsgestaltung) initiiert und durchgeführt. Die Junge Liebesschule besteht aus 4 Modulen, á 5 Tage mit ca. 30 jungen Erwachsenen sowie 5 Seminarleitern.
Zentrale Anliegen der Liebesschule sind die Themenbereiche Beziehung, Partnerschaft, Liebe und Sexualität. Das 2. Modul handelte von Gefühlen, Bedürfnissen und Kommunikation in Beziehungen. Martin war vor Ort und erlebte das spannende Seminar:
Die Anreise war anstrengend – ich war ausgelaugt. Wegen eines Feuers wurde die Bahnstrecke zeitweilig geschlossen, was eine längere Standzeit des Zuges somit auch eine gewisse Bewegungslosigkeit zur Folge hatte. Folglich, dauerte es eine Weile bis ich wirklich am Veranstaltungsort angekommen war.
Schon am ersten Tag wurde es, für mich persönlich, sehr intensiv. Früh noch sehr müde, da ich kaum geschlafen hatte, kam ich tagsüber immer mehr in meine Kraft. Von einem Seminarleiter gefragt, durfte ich einen „Wutraum“ halten, als auch eine entsprechende Übung für alle Teilnehmer anleiten. Der Raum war spannend und die Energie sehr hoch. Noch nie hatte ich für so viele Menschen gleichzeitig eine Wutübung angeleitet. Das Feedback der Teilnehmer, bezüglich meiner Arbeit, nach einer lauten und befreienden Stunde „Wutkraft“ war eindeutig: Verantwortliche Wutkraft macht sexy und sie sahen mich in voller Präsenz.
Nach einer Inputreihe am nächsten Morgen mit Methoden zu Beziehungsdynamiken machten wir eine Übung, um uns gegenseitig Feedback und Rückkopplung zu geben. Was sehen wir bei dem gegenüber, was funktioniert, was funktioniert nicht?
Ich erhielt unzählige Male ein sehr ähnliches Feedback, was meine Beobachtung bestätigte: Mir fällt es oft schwer in Gruppen präsent in meiner Kraft zu sein, doch der Wutraum am vorhergehenden Abend zeigte das Gegenteil. Er zeigte, wie viel in mir steckt und wie sehr ich andere damit unterstützen kann. Ich war sehr bewegt und in mir stieg eine starke Traurigkeit auf.
Als nächstes wurde ein Forum angekündigt und ich beschloss in die Mitte zu gehen, denn genau darum ging es für mich: Mich in der Gruppe zu zeigen und präsent zu sein mit meinen Fähigkeiten.
Das Forum ist eine Kreismethode, bei der eine Person in die Mitte geht, um ein Thema das ihn/sie bewegt zu bearbeiten und in der Gruppe präsent zu machen. Das Forum besteht aus einer Leitung, welche die Person in der Mitte unterstützt, sowie aus dem Kreis von Teilnehmern, die ihre Aufmerksamkeit der Person in der Mitte widmen und nach dem Auftritt dieser Person ihm/ihr Spiegel geben können.
Nach dem ich mein Anliegen in der Forumsmitte beschrieben hatte und Emotionen entlasten konnte, fühlte ich mich verändert. Ich wollte ruhig und gefühlvoll sagen, dass ich mich jetzt in der Gruppe mit meinen Fähigkeiten zeige, und dass meine Weichheit und Ruhe, Kräfte sind die mich dabei unterstützen. Just in diesem Moment brach ein unglaublich starkes Sommergewitter herein. Der Regen knallte auf die Wellblechdächer der Scheune in der wir waren. Also schrie ich mit voller Kraft: „Ich gebe mit meiner Weichheit und Ruhe meine Kraft und Fähigkeiten in die Gemeinschaft!“
Dann wurde der Regen immer stärker und alle im Raum verstummten. Bis auf die Geräusche des Gewitters, breitete sich eine energievolle Stille im Raum aus, bis einer der Seminarleiter meinte: „Ok, 3 Minuten. Eine Pause um…“. Noch bevor er zu Ende sprechen konnte standen alle schreiend auf, rissen sich die Kleider vom Leib und rannten jubelnd raus in das warme Sommergewitter. Das war der beste Spiegel den ich bekommen konnte.
Die nächsten Tage in der Jungen Liebesschule waren weiterhin sehr bewegend.
Ich brachte mich ein, wurde in der Gruppe gesehen und mit meinen Fähigkeiten erkannt. Die anderen Teilnehmer gaben mir viel Vertrauen und fragten mich um Rat. So konnte ich andere aus der Gruppe unterstützen und auch für sie Räume halten.
Als ich zwei junge Männer aus der Liebesschule mit ihren Themen begleitete, wurde mir klar was für eine Entwicklung ich in den letzten Jahren durchgemacht hatte. Mir wurde bewusst, wie wichtig es ist, als Mann weinen zu können. Ich sprach eben jene Gedanken aus, was erneut angenehme Reaktionen der beiden anderen Männer hervorrief.
Fest entschlossen nahmen sie sich es zur Aufgabe, das Weinen wieder zu erlernen. Es ist so befreiend und heilsam. Mir kam ein Satz, der mich seitdem sehr beschäftigt: Männer unsere Tränen sind wichtig und heilsam, nicht nur für jeden Einzelnen von uns, als mehr noch für unsere Erde und die gesamte Gesellschaft!
Martin