Das Erfühlen neuer Welten

Ein Fühlen, Erleben, Kreieren, etwas das über die reine Wahrnehmung der Sinne hinausgeht – Gefühle und Emotionen haben wir und sie sind unbestreitbar. Wir können sie verdrängen, wir können sie hinunterschlucken und uns „zusammenreißen“, aber völlig negieren können wir ihre Existenz nicht. Gefühle seien „etwas für Weicheier“ und „Indianer heulen nicht“ bekommen wir zu hören*. Kommt dir das bekannt vor? Doch wissen wir eigentlich welche Kraft im bewussten Fühlen liegt?

Der Nebel eines Tabuthemas:

Es wird Zeit ein Thema anzusprechen, dessen sich unsere Kultur fast völlig verwehrt. Dank des chirurgischen Eingriffs in unsere Potentialentfaltung, genannt Sozialisation oder Erziehung, wissen wir, dass Gefühle und Sentimentalität in unserer Gesellschaft kaum erwünscht sind. Bis auf einige Ausnahmen, wie der Tod eines nahen Angehörigen, sollten wir besser keine Gefühlsregungen zeigen und lieber gleichmäßig funktionieren.

Dass wir keine Roboter sind und auf Dauer unsere Gefühlswelt nicht verdrängen können, zeigt sich spätestens wenn wir mal an die Decke gehen, den ersten psychischen Zusammenbruch haben, Burn-Out, Depression, oder einen Moment im Leben, der uns wahrlich die Augen öffnet. Eine Art Bewusstseinsshift also. Zum Bewusstsein über uns selbst gehört schließlich auch der bewusste Umgang mit unseren Gefühlen.

Intellektuelle Klarheit über Gefühle:

Um uns einen Zugang in die Dimension der Gefühle zu ermöglichen, greifen wir auf die „Landkarte der Gefühle“ zurück. Diese wurden von Dr. Eric Berne, dem Begründer der Transaktionsanalyse und seinen Schülern entwickelt. Diese Landkarte zeigt auf, dass sich alle menschlichen Emotionen grundlegend in vier Kategorien unterteilen lassen: Wut, Traurigkeit, Angst und Freude.

Wie die Grundfarben Rot, Grün, Blau und Gelb lassen sich andere Gefühle auf die vier Grundgefühle zurückführen und sind Vermischungen dieser. Das eröffnet uns plötzlich einen intellektuellen Zugang und schafft Klarheit. Des Weiteren können wir lernen, dass das Fühlen von Gefühlen „Ok“ und völlig normal ist. Ein urteilsfreier Blick ermöglicht uns sogar Gefühle als neutral zu betrachten, auch wenn sie soziokulturell stark negativ konnotiert sind. Eine erste Entdeckungsreise können wir vornehmen, indem wir uns regelmäßig fragen: „Was fühle ich jetzt?“

Und…
Was fühlst du jetzt?

Gefühle vs. Emotionen:

Dieses neue Wissen und das erste Einfühlen in wenig unerforschte Bereiche menschlichen Daseins können einen Zustand kompletter Ablehnung hervorrufen. Das mag daran liegen, dass unsere alte Denkweise verhindert diese Informationen neuerer Denkweise zu integrieren. Wie ein stures Kleinkind welches beharrlich meint es würde einen Apfel essen, um selbst nach dem dritten Biss in die Zwiebel, unter tränenden Augen, weiter zu behaupten, es wäre ein Apfel. Diese Abwehr passiert bisweilen häufig zum Schutz vor Wunden und Verletzungen – auch Situationen aus angestauten, nicht artikulierten Gefühlen.

Zur Unterscheidung nennen wir diese Emotionen. Sie sind oft alt, unbewusst, tief gespeichert und drücken sich in Konfliktsituationen aus, welche wiederkehrend und langanhaltend sind. Wenn uns bestimmte Situationen also immer wieder in ähnlicher Weise begegnen und dabei starke Gefühlsregungen auftauchen, dann sind dies höchstwahrscheinlich Emotionen aus der Vergangenheit.

Gefühle hingegen sind aktuell und alternieren zwischen 3 Sekunden und 3 Minuten in Wellenbewegungen, d.h. wenn du dir jetzt die Frage stellst was du gerade fühlst, kannst du im nächsten Moment wieder ganz anders fühlen.

Eine Welt voller Abenteuer:

Jeder Farbtupfer im menschlichen Gemälde, welches wir in jedem Jetzt neu erschaffen, ist durch mindestens ein Gefühl beseelt.

Wie fühlt sich Rot an, wie Blau? Wie fühlt sich Einheit an und wie Verbindung? Wie ist das Gefühl der Wärme im Mutterleib? Welches Gefühl verursacht Trennung?

Dies geht weit über die rein psychischen Ebenen hinaus und lässt sich ebenso auf materieller und intellektueller Ebene erfühlen. Was ist z.B. Mathematik? Wie fühlt sich die Eins an? Wie Neun, wie Einhundert-vierundvierzig? Die Mathegenies haben diesen Zugang. Für sie sind Zahlen keine reinen Symbole. Jede Zahl ist mit einzigartiger Farbe, Geometrie und einem Gefühl belegt, welches sich leicht bewegen, ergänzen und verschieben lässt (d.h. „rechnen“).

Interessant ist dies, da wir nur einen kleinen intellektuellen Zugang zu diesen Bereich haben, und von da an in neuem Terrain auf uns gestellt sind. Deswegen ist es wortwörtlich schwer zu begreifen. Ein reines „Auswendiglernen“ funktioniert in dieser Welt nicht mehr. Diese Welt lässt sich nur durch eigenes Erfühlen und daraus resultierendes Verstehen erkunden.

Ein wahrhaftig erwachsener Umgang mit Gefühlen:

Unbewusst arbeiten wir immer mit Gefühlen, Handlungsmustern sowie alten Emotionen, die erschaffen und verarbeitet werden. Unsere Kultur fördert derzeit keinen erwachsenen Umgang mit diesen. Doch können wir uns hineinfühlen in diese Welt und werden sehen, dass es viel zu entdecken gibt. Das merken wir, wenn wir erst einen kleinen Schritt hineingesetzt haben. Es ist völliges Neuland von dem kaum Landkarten existieren.

Können wir die Wut nutzen und uns von der alten Denkweise lösen?
Können wir Traurigkeit fühlen und uns mit einem lange negierten Teil unseres Selbst verbinden?
Können wir die Angst nutzen, um den ersten Schritt in eine neue Welt zu wagen?
Können wir im Leben wieder authentische Freude empfinden?

* „Indianer heulen nicht“ stammt von Karl May, welcher bekanntlich nie einen „Indianer“ gesehen hatte, geschweige denn in Nordamerika war. Nordamerikanische Ureinwohner sind in Wirklichkeit äußerst gefühlsbetonte Menschen und wissen um die Kraft, die in den Gefühlen stecken.